29.12.‘13
Am 20. Januar 2013 fand zusammen mit
der Landtagswahl eine Bürgerbefragung, ob ein Biomasseheizkraftwerk
(künftig BMHKW) in der Nähe der Firma BUSS angesiedelt werden soll,
statt. Bei der Befragung nahmen 59,7 Prozent aller
Abstimmungsberechtigten teil. Davon lehnten 52,2 Prozent (3021
Stimmen) das BMHKW ab und 47,8 Prozent befürworteten es (2767
Stimmen).
Bereits vier Tage später fand eine
Ratssitzung statt, bei der die CDU-Fraktion geschlossen samt
Bürgermeister sowie drei Fraktionsmitglieder der Grünen (Hennings,
Rohmeyer, Schwarz) dennoch für die Ansiedlung des BMHKW stimmten,
fünf Mitglieder der SPD-Fraktion, die FGBO-Fraktion geschlossen,
Erika Janzon (Grüne) und Jürgen Baumgartner (Linke) stimmten gegen
die Ansiedlung, Gerd Gollenstede (SPD) und Thomas Sprengel (Grüne)
enthielten sich der Stimme.
Der Abstimmung ging eine emotionale
Debatte voraus. Es war auch eine Diskussion um ein Politikmodell. Ist
es richtig, die Menschen bei einem solchen Projekt zu befragen und
sie letztlich auch entscheiden zu lassen? Der amtierende
Bürgermeister lehnt das ab und begründet das folgendermaßen: „Es
wird in der Werbung und auch sonst gerne verwendet, die Tatsache
nämlich, dass der Mensch nur mit wenigen Anteilen aus rationalem
Denken seine Entscheidungen trifft. Der Hauptanteil ist emotional vom
Unterbewusstsein gesteuert.“ (Rede des Bürgermeisters am 24.1.2013
im Rat)
Bürgermeister
Hofmann traut den Menschen eine Entscheidung in der Sache
offensichtlich nicht zu. Sie würden hauptsächlich emotional und vom
Unterbewusstsein gesteuert Entscheidungen treffen. Er stellt sich
damit in Widerspruch zu Grundannahmen der Demokratie, dass Menschen
mündig seien und ihre Sachen regeln können. Viele Fragen bleiben
bei diesem Bild vom Menschen unbeantwortet. Haben ca. 52 Prozent
emotional und ca. 48 Prozent der Abstimmenden rational entschieden?
Oder haben alle emotional entschieden, und das Ergebnis war eher
zufällig? Und wie steht es mit den Ratsmitgliedern? Machen diese
durch ihre Wahl in den Rat eine Wandlung durch und entscheiden
hautsächlich rational?
Es
scheint so, dass der Bürgermeister selbst eine emotionale Rede
gehalten hat, weil er vom Ergebnis maßlos enttäuscht war.
Wahrscheinlich war es verkehrt, bereits vier Tage nach der
Bürgerbefragung eine Ratssitzung anzusetzen. Etwas mehr Zeit hätte
einigen Gemütern gut getan.
In
der Ratssitzung selbst betonten der Bürgermeister und Angela
Hennings fast wortgleich, dass sie nicht davon ausgingen, dass das
BMHKW noch gebaut werden würde, aber es ginge darum, ein Signal an
die Wirtschaft zu senden. Es war und bleibt rätselhaft, warum CDU
und Grüne den politischen Schaden in Kauf nahmen, wenn in der Sache
nichts mehr zu erreichen war. Das müssen Horst Hofmann und Angela
Hennings sich und vor allem auch ihren Berater fragen. Tatsächlich
hatte die Führung der Firma BUSS zu dem Zeitpunkt der Ratssitzung
bereits entschieden, dass sie das Ergebnis der Befragung akzeptieren
werde und Abstand von ihren Plänen genommen.
Rechtlich
ist es so, dass eine Bürgerbefragung keine bindende Wirkung
entfaltet. Die Ratsmitglieder sind frei in der Sache zu entscheiden.
Aber politisch stellt sich natürlich die Frage, warum ein solcher
Aufwand betrieben wird, wenn das Ergebnis nachher keine Wirkung
entfaltet. Im Mai 2012 hatte der Rat mit 17 zu zwölf Stimmen für
die Bürgerbefragung gestimmt. Vor allem Ratsmitglieder der Grünen
hatten sich scheinbar nicht ausreichend vor Augen geführt, was eine
Bürgerbefragung politisch bedeuten könnte. Einige sagten später,
dass sie einen Fehler gemacht hätten.
Im
Laufe des Jahres 2013 äußerten sich einige CDU-Ratsmitglieder
derart, dass sie erfahren wollten, wie man besser informieren könnte,
damit künftig solche Entscheidungen nicht mehr vorkommen könnten.
In der Tat fand lediglich eine Einwohnerversammlung am 10. Januar
statt und das Informationsheft hatte eher den Charakter einer
Werbebroschüre für das BMHKW. Ein Antrag der FGBO-Fraktion, mehrere
Einwohnerversammlungen durchzuführen und eine ausgewogene
Information zu versenden, wurde nicht umgesetzt. Gleichzeitig wurde
der FGBO vorgeworfen, einseitig und mit Angst zu argumentieren. Für
künftige Bürgerbefragungen sollten erstens mehrere
Einwohnerversammlungen, zweitens früher stattfinden und drittens
sollte das Informationsheft mehr Argumente enthalten. Eine gute
Diskussion braucht Zeit, damit die Argumente abgewogen werden können.
Für
die Organisation der öffentlichen Diskussion trägt die Verwaltung
und der Verwaltungsausschuss die Verantwortung. Für den entstandenen
Zeitdruck trägt die Firma BUSS die Verantwortung, die dem Rat im
September mitteilte, man wolle das BMHKW nun umsetzen und es müsse
schnell gehen.
Die
Befürworter des BMHKW, vor allem Mitglieder der CDU-Fraktion und der
Bürgermeister, könnten sich aber auch von der Vorstellung lösen,
in der Politik ginge es ausschließlich um richtige oder falsche
Entscheidungen. Es geht eben auch um die Fragen, was wird gemacht und
wer entscheidet. Entscheidungen sind mit Vor- und Nachteilen
verbunden, die von Menschen unterschiedlich bewertet werden. Eine
Mehrheit der Ottersberger wollte das BMHKW eben nicht. Demokratie
heißt auch Entscheidungen zu akzeptieren.
Das
fiel einigen Mitgliedern der CDU-Fraktion und wenigen Menschen
außerhalb des Rates schwer. Leserbriefe wurden geschrieben, in denen
der Wirtschaftsstandort Ottersberg in Gefahr gesehen wurde.
Ratsmitglieder wurden als aggressive Minderheiten bezeichnet.
Fairerweise muss man sagen, auch die Ratskollegen, vor allem der
Grünen-Fraktion, mussten sich in Emails beschimpfen lassen, d. h.
ihre freie Entscheidung im Rat wurde von einigen Menschen nicht
akzeptiert und teilweise mit wüsten Worten bedacht.
Ein
Vertreter der Firma BUSS meinte, die Diskussion nach der
Bürgerbefragung sei fast schlimmer als das Ergebnis gewesen. Hier
muss sich schon jeder fragen, wie mit demokratischen Entscheidungen
umgegangen wird und was alles einer Gemeinde wie schaden kann.
Auch
wenn der Umgang mit dem Ergebnis der Bürgerbefragung teilweise
erschreckend war, kann zur Gelassenheit geraten werden. Es ist Teil
eines Lernprozesses mit Entscheidungen der Bürgerinnen und Bürger
umgehen zu können. Es ist ratsam, weitere Bürgerbefragungen und
Bürgerentscheide stattfinden zu lassen, um in Zukunft die
öffentliche Diskussion sorgfältiger zu organisieren und die
Ergebnisse gelassener und respektvoller zu kommentieren. So böte
sich zum Beispiel eine Bürgerbefragung darüber an, ob eine neue
Turnhalle gebaut werden soll oder ob die bestehende Turnhalle
grundlegend renoviert werden soll.
Bürgerbefragungen
und Bürgerentscheide über Sachfragen sprechen den Menschen als
Entscheider an. Diese Herausforderung wird von den Menschen
unterschiedlich angenommen, das ist im Rat übrigens auch nicht
anders. Natürlich fühlen sich Menschen ernst genommen, wenn sie
nicht nur alle fünf wählen sollen, sondern auch in Sachfragen
entscheiden können. Die Bürgerbefragung über das BMHKW hat den
Bürgerinnen und Bürgern in Ottersberg gezeigt, dass sie sagen
können, wo es langgeht. Gerade nach den schlechten Erfahrungen mit
anderen Großprojekten ist dies für das demokratische
Selbstverständnis und Selbstbewusstsein ein Gewinn. Sollte sich der
Rat häufiger dafür entscheiden, die Bürgerinnen und Bürger als
Entscheider anzusprechen, wird das die Attraktivität von Ottersberg
steigern.
von
Tim Weber